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Das neue Verhältnis zwischen London und EU nach dem Brexit

Aus „die bank“ 6.2021

Für die Finanzindustrie war es ein harter Brexit. Im Vertrag gibt es keine Regelungen zur „Äquivalenz“, die den Zugang der Finanzindustrie sichern sollte. Schlimmer noch: Frankreich droht zunehmend offen, dem Finanzplatz London den Markzutritt zu verbauen. Banken, Wirtschaftsprüfer und die Aufsicht in London drängen auf mehr Eigenständigkeit. Wird Äquivalenz für die notwendige konstruktive Zusammenarbeit der Finanzplätze zukünftig noch eine Rolle spielen können?

iStock.com/Kbarzycki

In der Finanzindustrie gab es keinen Grund zur Freude, als am Heiligabend des vergangenen Jahres die Einigung über das „Trade and Cooperation Agreement“ nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union verkündet wurde. Die erhoffte Klarheit für die Finanzindustrie blieb aus. Seit dem 1. Januar 2021 können die Institute deshalb ihre Dienstleistungen nicht mehr im Rahmen des „europäischen Passes“ anbieten.


Im Vertrag selbst fehlt jegliche Vereinbarung zur Gleichwertigkeit der Regulierungen – die sogenannte Äquivalenz –, die es ermöglicht hätte, wesentliche Teile der bisherigen grenzüberschreitenden Geschäfte fortzuführen. Auf den ersten Blick ist dies überraschend, war doch zum Zeitpunkt des Austritts das Regelwerk für die Finanzmärkte identisch. Das Vereinigte Königreich hatte als EU-Mitglied die jeweiligen Regelungen maßgeblich mitgestaltet und bis dato vollständig implementiert.

Äquivalenz für das Vereinigte Königreich in weiter Ferne
Die Vertragsparteien verständigten sich lediglich auf ein Memorandum of Understanding, das erst drei Monate später, Ende März, nach zähen Gesprächen zustande kam. Es beinhaltet weder rechtlich verbindliche Vereinbarungen noch einen konkreten Zeitplan. Es etablierte lediglich für weitere Diskussionen und Entscheidungen ein „Joint UK-EU Financial Regulatory Forum“, das mindestens zweimal jährlich tagen soll.


Die Finanzindustrie blickt deshalb bei grenzüberschreitenden Geschäften gegenwärtig auf einen Flickenteppich von Regelungen, die teils in die Zeit vor dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zurückreichenden – von umfassender Äquivalenz ist keine Spur zu sehen.


Der britische Schatzkanzler hatte bereits im November letzten Jahres eine umfassende Liste veröffentlicht, die für 17 Geschäftsfelder die Regulierung im Europäischen Wirtschaftsraum bis auf Weiteres als gleichwertig zu den Bestimmungen im Vereinigten Königreich akzeptiert. Für Institute mit Sitz in der Europäischen Union ist die Situation damit einigermaßen komfortabel: Sie können in diesen Geschäftsfeldern weiter im Vereinigten Königreich aktiv sein.


Umgekehrt gilt dies nicht. Die EU-Kommission hat bislang nur für zwei Bereiche eine Äquivalenz der Regulierung ausgesprochen, und dies auch nur befristet. Sie wollte damit kurzfristige, gravierende Marktstörungen vermeiden und die Stabilität des Finanzsystems sichern.


Befristet bis Ende Juni 2022 hat sie die Aufsicht über zentrale Gegenparteien (Central Counterparties, CCP) im Vereinigten Königreich als gleichwertig anerkannt – insbesondere zur Abwicklung des Zinsderivategeschäfts denominiert in Euro. Befristet bis Ende Juni dieses Jahres hat sie darüber hinaus die Aufsicht über Zentralverwahrer (insbesondere im Hinblick auf die Verwahrung irischer Aktien im Vereinigten Königreich) als gleichwertig zugelassen.


Die europäische Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA hat drei zentralen Gegenparteien und einem Zentralverwahrer im Vereinigten Königreich die entsprechenden Erlaubnisse für die Fortführung ihrer Dienstleistungen für EU-Kunden erteilt. Mit der Befristung hat die EU-Kommission allerdings signalisiert, dass sie diese Entscheidungen nur als vorübergehend betrachtet. Im Beschluss zu den CCP fordert sie die Finanzindustrie innerhalb der EU explizit zu Strategien auf, um die Abhängigkeit von den CCP im Vereinigten Königreich zu reduzieren. Eine Verlängerung der Äquivalenz für Zentralverwahrer könnte sich erübrigen, nachdem die Wertpapiere irischer Aktiengesellschaften im März bereits nach Belgien transferiert wurden.


Die zuständige EU-Kommissarin sieht keine Eile, dem Finanzplatz London Zugang zum EU-Binnenmarkt zu gewähren. Frankreich drohte der City of London im April gar mit Vergeltungsmaßnahmen, falls das Vereinigte Königreich Zugeständnisse in Fischereifragen verweigere. (…)


Den vollständigen Artikel konnten Sie in der Ausgabe „die bank“ 6.2021 lesen.

Autor:
Gerhard Wiesheu, Präsident Frankfurt Main Finance e.V. und persönlich haftender Gesellschafter des Bankhauses B. Metzler seel. Sohn & Co. KGaA, Frankfurt am Main.